Hallo
Nun, eigentlich hab ich mir vorgenommen, mich als Forumsneumitglied zu solch kontroversen Themen wie diesem hier eher nicht zu äussern.
Doch aus aktuellem Anlass, und um ein paar Dinge klar zu stellen, möchte ich diese Gelegenheit nicht missen.
Danke an Birgit, dass du diesen Thread eröffnet hast! Und Danke den anderen Beiträgen, wo leider allzu viel Wahrheiten enthalten sind.
Vor einiger Zeit habe ich mich intensiv mit dem Thema Tibet auseinandergesetzt, unter Berücksichtigung politischer, kultureller und religiöser Aspekte.
Dass es in letzter Zeit zu Aufständen und Demonstrationen kam, ist nicht verwunderlich. Die Tibeter harren in ihrer misslichen Situation nun schon seit über 50 Jahren aus – und das ohne jemals Gewalt oder Terror anzuwenden! Das finde ich sehr lobenswert, der Dalai Lama hat auch stets zur Gewaltfreiheit aufgerufen. Jetzt stehen die Olympischen Spiele an; natürlich eine grosse Gelegenheit die Weltbevölkerung auf die Missstände aufmerksam zu machen.
Die Chinesen sind natürlich verwirrt – das waren sie schon immer ob der unfassbaren Glaubenskraft der Tibeter! Peking versucht nun also eine Gegenbewegung zu starten, in dem sie den Dalai Lama als den Schuldigen darstellen wollen. In China selbst funktioniert das natürlich, im Rest der Welt glücklicherweise nicht!
Ausserdem hat Peking bei der Vergabe der Olympiade Versprechen gegeben, die Menschenrechtssituation werde sich verbessern. Da aber nichts in diese Richtung (ganz im Gegenteil) passiert ist, verwundert es nicht, dass man allgemein sehr solidarisch den Tibetern gegenübersteht.
Wotan hat geschrieben:
Nur sehen wir die Situation nicht allzusehr durch unsere einseitig eingefärbte "westliche" Brille.
Ich weiss nicht genau wie das gemeint ist. Jedoch muss ich dazu sagen, dass wir in der westlichen Welt viel wissen, aber natürlich nicht alles. Es ist aber nicht so, dass wir hier alles übertrieben sehen und China eigentlich gar nicht so böse ist. Nein, das Gegenteil ist der Fall! In Tat und Wahrheit ist vieles noch erheblich schlimmer als wir es wissen! Befasst man sich ausgedehnt damit, wird einem beinahe übel. Lasst mich ein paar Beispiele aufzeigen.
- Tibeter sind religiös, sie schwören auf den Dalai Lama, welcher stets weise und friedlich handelt. Sie werden jedoch gezwungen, den Dalai Lama zu verunglimpfen; ein Besitz eines Dalai Lama Porträts wird streng (mitunter Folter, Tod) bestraft. Es geht hier nicht um einen Konflikt, wo sich einfach zwei Volksgruppen auf den Sack geben (wie ja leider vielerorts).
- China hat ein Überbevölkerungsproblem, Tibet nicht. Die 1-Kind-Politik wird aber dennoch auch auf Tibet ausgedehnt. Das führt mitunter zu willkürlichen und brutalen Zwangsabtreibungen!
- China siedelt Millionen von Chinesen nach Tibet um – die Tibeter sind bereits in der Unterzahl. Ich nenne das einen schrittweisen Völkermord! So sieht dies auch die Internationale Juristenkommission.
- Durch Verfolgung und Hungersnot verlor über eine Million Tibeter ihr Leben.
- Die Umwelt in Tibet ist sensibel. Durch Abholzung und Atomablagerung wird diese Zerstört, unwiderruflich. Atomstützpunkte werden mitunter an heiligen Stätten errichtet. Jetzt soll auch noch ein riesiger Staudamm errichtet werden.
- Politische (religiöse) Gefangene werden gepeinigt und aufs schwerste Misshandelt. Methoden wie zu Hitlers Zeiten sind gang und gäbe.
Wotan hat geschrieben:
Ferner ist richtig, das es den Menschen auch in Tibet mittlerweile materiell wesentlich besser geht, als zu Zeiten der "Mönchsherrschaft".
Du sagst richtig „den Menschen in Tibet“. Die Tibeter selbst haben nichts vom „wirtschaftlichen Aufschwung“. Tibeter werden im eigenen Land benachteiligt, wenn es beispielsweise um Jobsuche oder sonstige Verdienstmöglichkeiten geht. In den Städten müssen viele Tibeter in den Slums leben. Nein, faul sind die nicht; Tibeter sind meist sehr geschäftige Leute (was mitunter in Indien zu Spannungen führt, da Exil- Tibeter oftmals die erfolgreicheren Geschäftsleute sind).
Klar, auch zu Zeiten wo die Mönche das Sagen hatten gab es Probleme oder Spannungen zwischen dien verschiedenen Klöstern/ Schulen, das ist halt so. Arm waren die Leute in der Tat, aber eben auch bescheiden und frei! Nomaden wurden ja mittlerweile grösstenteils zwangsangesiedelt.
Wotan hat geschrieben:
Tibet stand 50 Jahre nicht auf der Agenda.
Kommt drauf an auf wessen Agenda. Diverses Organisationen und auch Regierungen versuchten das Thema immer wieder anzuschneiden; mit entsprechender Vorsicht leider; man könnte ja wirtschaftliche Versäumnisse provozieren… Der Dalai Lama hat das jedoch immer respektiert.
Ausserdem haben die Tibeter eine funktionierende Exilregierung, schon seit 1960, welche stets das Problem zu lösen versucht. Man machte auch diverse Zusprüche gegenüber der chinesischen Regierung, beispielsweise verzichtet man mittlerweile auf eine Abspaltung. Religiöse Freiheit, Schutz der Natur und Kultur, sprich weitgehende Autonomie, das sind die Forderungen. Und das ist ja wohl wirklich nicht zu viel verlangt!
Aber nein, Peking bleibt stur! Es wird keine Religion toleriert. Ausserdem müssten sie ja dann ihre militärischen Atomstützpunkte aufgeben; doch will man natürlich die Kontrolle z.B. über Indien haben. Die Gründe Pekings sind echt falsch, unmenschlich.
Dabei täte den Chinesen Offenheit auf längere Frist gut! Denn wer weiss was in 30 Jahren ist; die Wirtschaft wird nicht ewig so weitergehen. Dazu kommen Überalterungsprobleme, Frauenmangel etc ausgelöst durch die Ein-Kind-Politik.
Wotan hat geschrieben:
Richtig ist auch das Tibet immer ein Teil von China war.
Da muss ich widersprechen. Als Mao Zedong im Jahre 1949 die Volksrepublik China proklamiert, war Tibet unbestritten ein eigenständiger Staat mit Staats- und Postwesen, Staatsgebiet, eigener Währung etc. Leider hatten die Tibeter in den Jahren zuvor versäumt, die Souveränität international abzusichern.
Die zwei sind Nachbarn und es wäre natürlich falsch zu sagen, dass die beiden nie miteinander zu schaffen hatten. In der Tat gab es in der Geschichte Tibets sehr enge (funktionierende) Beziehungen zu China, bis hin zur weltlichen Zusammengehörigkeit. Das steht aber in einem krassen Gegensatz zu dem was Peking propagiert, nämlich dass Tibet ein integraler Bestandteil Chinas ist. Und das ist genau der springende Punkt.
In der längeren Vergangenheit Tibets gab es verschiedene Staatsoberhäupter. Während vielen Jahrhunderten regierten die Klöster, die Dalai Lamas, dann wieder Monarchen etc das Land. Um das Jahr 1200 erkennt Tibet die mongolische Oberhoheit an, im Gegenzug übernehmen die Tibeter die geistliche Führung; es entsteht eine Art Priester- Patron- Beziehung, sprich die weltliche Macht haben die Mongolen, die spirituelle Führung die Tibeter.
Im Jahre 1700 bis zum Zerfall der Qing- Dynastie (1911) gab es eine ähnliche Beziehung mit den Mandschu- Chinesen. Auch da hatten die Chinesen die weltliche Führung, die Tibeter waren jedoch soweit Souverän.
Von einem „integralen Bestandteil“ kann also nicht die Rede sein!
Wie erwähnt würde sich der Dalai Lama mit einer Autonomie, aber eben einer echten, zufrieden geben.
Das muss so schnell als möglich geschehen, denn die sehr alte und einzigartige Tibetische Kultur ist arg gefährdet. Ich würde es wahnsinnig schad finden, wenn in ein paar wenigen Jahrzehnten davon praktisch nichts mehr übrig ist!
Wotan hat geschrieben:
Im Irak wurde völlig ohne Sinn und Verstand ein Krieg vom Zaun gebrochen
Das sehe ich auch so. Und ich finde es absolut unmenschlich was da passiert!
Ich kann aber den einen Konflikt nicht gegen den anderen abwägen. Alle diese Konflikte müssen gelöst werden, und dafür sollten wir auch einstehen.
Ich persönlich finde den Tibet- Konflikt besonders tragisch, da wie erwähnt dessen Kultur und Umwelt einzigartig und faszinierend sind; die Tibeter selbst finde ich sympathisch, so einfach, bescheiden und religiös die sind.
Wotan hat geschrieben:
sicherlich ist es allerehrenwert sich für die Menschenrechte und für den Erhalt der tibetischen Kultur einzusetzen.
Dem stimme ich uneingeschränkt zu! Wir sollten alle unseren Teil zu einer faireren Welt beitragen.
In dem Sinne… FREE TIBET!!
Viele Grüsse
Chris-J